Wichtige Trends: Die Rolle von Amazon im Gesundheitsbereich
Der Gesundheitsbereich ist für Amazon kein Neuland, in diesem Jahr hat Amazon jedoch mit dem Kauf eines Unternehmens, das über ein landesweites Netz von Hausarztpraxen verfügt, einen großen Schritt nach vorne gemacht und seine Reichweite über den Arzneimittelversand und das Angebot virtueller Konsultationen hinaus ausgedehnt.
Die Übernahme von One Medical durch Amazon zeigt, dass Amazon weiterhin das Ziel verfolgt, das System der Gesundheitsversorgung umzugestalten und damit den Zugang zur Gesundheitsversorgung für Patientinnen und Patienten zu verbessern.
Analysten sind der Ansicht, dass Amazon, ein Unternehmen, das ursprünglich als Buchversand begonnen hat, mit seinen weit verzweigten Lieferketten, 80 Millionen Amazon Prime-Nutzern und Zugriff auf eine umfangreiche Datenbank den Gesundheitsmarkt auf den Kopf stellen und Lösungen anbieten könnte, die verschiedene Unannehmlichkeiten, mit denen Patienten konfrontiert sind, beseitigen. So möchte One Medical beispielsweise längere Konsultationszeiten, kürzere Wartezeiten in der Praxis und kürzere Wartezeiten (weniger Tage oder Monate) auf einen Arzttermin anbieten.
Ein solches patientenzentriertes Modell könnte andere Hausarztpraxen zu erheblichen Änderungen bewegen, um den Erwartungen der Patienten gerecht zu werden.
„Amazon möchte die Kundenerwartungen an die Gesundheitsversorgung neu definieren” ist in einem Blogbeitrag der American Hospital Association zu lesen. „Wenn Amazons Plan aufgeht, könnten Gesundheitsdienstleister gezwungen sein, beträchtliche Investitionen zu tätigen und ihre Versorgungsmodelle anzupassen, um mit den höheren Kundenerwartungen mithalten zu können, die durch das One Medical-Amazon-Modell entstehen.”
Nicht das erste Rodeo von Amazon im Gesundheitsbereich
Amazon versucht sich bereits seit mehreren Jahren auf dem Gesundheitsmarkt und hat seine Reichweite und sein Dienstleistungsspektrum im Laufe der Zeit kontinuierlich erweitert.
- PillPack (2018) – Patienten erhalten per Post vorsortierte Tablettenpackungen. Die Packungen enthalten rezeptfreie und verschreibungspflichtige Medikamente sowie Vitamine und sind nach Datum und Uhrzeit der Einnahme vorsortiert.
- Amazon Care (2019) – Der virtuelle Gesundheitsdienst für die Notfall- und Primärversorgung wurde in Seattle zunächst für Mitarbeitende von Amazon und deren Familien gestartet und schließlich auf telemedizinische Dienstleistungen in allen 50 US‑Bundesstaaten und persönliche Angebote in mindestens sieben Städten ausgeweitet. Die Dienste von Amazon Care wurden schließlich auch den Angestellten anderer Arbeitgeber zur Verfügung gestellt, Ende 2022 mit dem Verweis auf fehlende nachhaltige und langfristige Kundenlösungen jedoch eingestellt.
- Amazon Pharmacy (2020) – Über die Online-Apotheke können Amazon Prime-Kunden verschreibungspflichtige Medikamente mit Lieferung innerhalb von zwei Tagen bestellen. PillPack ist Teil dieses Dienstes.
- Amazon Clinic (2022) – Bei allgemeinen gesundheitlichen Anliegen können Patienten rund um die Uhr und ohne Terminvereinbarung oder Videoanrufe ganz nach ihrem Bedarf eine medizinische Beratung in Anspruch nehmen. Die Patienten und Gesundheitsdienstleister kommunizieren dabei per Chat. Die Patienten zahlen im Voraus je nach Erkrankung einen bestimmten Pauschalpreis. Amazon Clinic wickelt keine Versicherungsansprüche ab.
Allgemeine Informationen über One Medical
Mit der Übernahme von One Medical durch Amazon betritt das Unternehmen den Bereich der konventionellen Primärversorgung. One Medical bietet Zugang zu etwa 200 Arztpraxen in über 20 Märkten, lokale Labors sowie psychologische Betreuung und virtuelle Konsultationen, wobei letztere rund um die Uhr zur Verfügung stehen. One Medical-Patienten zahlen eine jährliche Gebühr (144 US-Dollar im ersten Jahr und 199 US-Dollar in den darauffolgenden Jahren) für den Zugang zum Versorgungsangebot und die Kosten werden von der Versicherung übernommen.
Wie Amazon hat auch One Medical enorm in Technologien investiert. In einer mobilen App können Patienten Termine vereinbaren, Rezepte erneuern lassen und mit den Gesundheitsdienstleistern kommunizieren.
Die Umsatzzahlen von One Medical sind über die Jahre zwar gestiegen, der Dienst ist allerdings noch nicht rentabel. Investoren sind jedoch der Ansicht, dass die Finanzmittel und Datenbank, über die Amazon verfügt, die Präsenz und Gewinne des neu übernommenen Unternehmens steigern können.
Geringere Wartezeiten, mehr Zeit für den Patienten
Mit der Zusammenarbeit von One Medical und Amazon hofft man, verschiedene Unannehmlichkeiten zu minimieren, die die Patientenzufriedenheit und -versorgung beeinträchtigen. Die Wartezeiten auf einen Termin bei einem Hausarzt, geschweige denn bei einem Facharzt, führen zu Frustration und Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen System der Gesundheitsversorgung.
Wartezeiten beim Arzt – zuerst im Wartezimmer und dann im Behandlungsraum – verschlimmern die Situation zusätzlich. Wenn Gesundheitsdienstleister und Patienten aufeinandertreffen, stehen sowohl der Patient als auch der Arzt oftmals unter Zeitdruck, was den Patienten unzufrieden zurücklässt und möglicherweise dazu führt, dass der Gesundheitsdienstleister wichtige Informationen nicht erfährt.
So möchten One Medical und Amazon die Patientenversorgung verbessern:
Zeit für den Patienten
Nur 11 Prozent der Patienten und 14 Prozent der Ärzte geben an, dass für das Gespräch mit dem Arzt bzw. Patienten so viel Zeit zur Verfügung steht, wie sie gerne hätten. Das ergab eine Befragung von 1747 Erwachsenen aus den USA im Alter zwischen 27 und 75 Jahren, die im letzten Jahr zwei Termine beim selben Arzt hatten.
Um diese Frustrationen auszuräumen, stellt One Medical sicher, dass durch die Vermeidung von überbuchten Terminplänen und zu starker Arbeitsauslastung alle Termine um 10 bis 25 Prozent länger sind als durchschnittlich in der Branche üblich. Deshalb behandeln die Gesundheitsdienstleister bei One Medical pro Tag um 50 Prozent weniger Patienten als im Branchendurchschnitt, was eine persönlichere Betreuung der Patienten ermöglicht. Zudem reduzieren die technologischen Möglichkeiten von One Medical die Zeit, die Gesundheitsdienstleister für administrative Arbeiten und die Erfassung von Daten während des Termins aufwenden müssen.
Verzögerungen bei der Terminvereinbarung
Ein neuer Patient muss im Durchschnitt 26 Tage auf einen Termin bei einem Gesundheitsdienstleister warten. Dies stellt laut den Daten von Merritt Hawkins, einer Personalvermittlungsfirma für Ärzte und Ärztinnen, einen 8‑prozentigen Anstieg im Vergleich zum Jahr 2017 und einen 24‑prozentigen Anstieg seit 2004 dar.
Das Konzept von One Medical basiert auf der Möglichkeit, Termine vor Ort oder per Telemedizin für denselben oder nächsten Tag zu vereinbaren. Auch Vor-Ort-Laboruntersuchungen werden angeboten.
Wartezimmer
Laut dem Vitals’ 9th Annual Physician Wait Time Report beträgt die durchschnittliche Wartezeit beim Arzt über alle Fachgebiete gerechnet in den USA derzeit 18 Minuten und 13 Sekunden. Daraus folgt:
- Jeder fünfte Patient gibt an, dass er den Arzt aufgrund langer Wartezeiten bereits einmal gewechselt hat.
- 30 Prozent der Patienten haben schon einmal einen Arzttermin aufgrund langer Wartezeiten abgebrochen.
Durch die Effizienzfunktionen des One Medical-Modells wird den Angaben auf der Website zufolge sichergestellt, dass Termine zum geplanten Zeitpunkt beginnen. Zusätzlich erhalten die Patienten vor ihren Arztterminen Gesundheitsfragebogen, was ebenfalls dazu beiträgt, den Ablauf zu beschleunigen.
Einsatz von Technologien
Amazon verfügt über ein enormes Kundenreservoir, aus dem das Unternehmen Patienten für die Dienste von One Medical gewinnen kann. Mit über 300 Millionen aktiven Nutzern ist das Einkaufen auf Amazon für viele Menschen ein fester Bestandteil ihrer Einkaufsgewohnheiten. Laut Amazon besuchen in den USA jeden Monat mehr als 42 Millionen einzelne Desktop-Nutzer und mehr als 126 Millionen einzelne Nutzer von mobilen Geräten die Shops von Amazon.
Experten weisen darauf hin, dass Amazon seinen Sprachassistenten Alexa und den smarten Lautsprecher Echo verwenden könnte, um die Gesundheitsversorgung positiv zu verändern. Die Nutzer sprechen mit Amazon über diese Geräte und fragen dabei nach Informationen, stellen Alarme ein, hören Musik und versenden Nachrichten. Im Gesundheitsbereich könnten diese eingesetzt werden, um Erinnerungen an die Medikamenteneinnahme zu versenden und Patienten virtuell zu überwachen, empfiehlt das Beratungsunternehmen Huron.
Dank der umfassenden Amazon-Datenbank mit persönlichen Informationen könnte Amazon den Konsumenten zur Verbesserung ihres Gesundheitszustands Nahrungsmittel, Vitamine, rezeptfreie Medikamente und andere verwandte Produkte vorschlagen, erklärt Huron. Das könnte insgesamt zu einer besseren Gesundheitsvorsorge führen.
Und letztlich könnten die unübertroffene Lieferkette sowie die bestehende Online-Apotheke von Amazon die Bestellung verschreibungspflichtiger Medikamente für Ärzte und Patienten vereinfachen und damit den Apothekenmarkt potenziell in Bedrängnis bringen.
Die Zusammenarbeit von Amazon und One Medical steht zwar erst am Anfang, aber die Unternehmen sind davon überzeugt, dass sie die Rolle eines Katalysators für die Verbesserung der Dienstleistungen im Bereich der Primärversorgung spielen können. Der CEO Andy Jassy stellt sich eine völlig veränderte, neue Landschaft der Gesundheitsversorgung vor.
„In 10 Jahren werden die Menschen nicht mehr glauben, wie die Primärversorgung einmal ausgesehen hat,” meint Jassy. „Jahrzehntelang hat man den Arzt angerufen, drei oder vier Wochen im Voraus einen Termin vereinbart, ist 15–20 Minuten zum Arzt gefahren, hat das Auto geparkt, sich bei der Rezeption angemeldet und wurde schließlich in den Behandlungsraum gerufen, wo man weitere 10–15 Minuten auf den Arzt warten musste, der einen dann fünf bis zehn Minuten untersuchte und einem ein Medikament verschrieben hat.”